Kleiner Überblick

Freitag, 18. Dezember 2015

Mein Herz für großartige Alben: Different Class

She doesn't have to go to work but she doesn't want to stay in bed 'cause it's changed from something comfortable to something else instead.
Wenn man im Booklet die Seite mit den Lyrics aufschlägt, bekommt man in kleingedruckten Buchstaben die Worte "Please don't read the lyrics whilst listening to the recordings." zu lesen. Was heißt das? Das heißt, dass man sich erstmal auf die Musik einlassen sollte. Logisch.
Wenn man sich dann auf die Musik einlässt, bekommt man fürs erste süßliche Melodien zu hören, voller Sehnsucht und Romantik. Man fühlt sich an eine Zeit erinnert, in der dem Kitsch/dem Pop eine gewisse Unschuld innewohnte, bevor es dort nur noch darum ging, die niedersten Instinkte des Hörers zu bedienen, aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls muss man sich danach die Lyrics durchlesen, um zu merken, dass hinter der Fassade dieser süßlichen Popsongs etwas so ungeheuerliches wie allgegenwärtiges lauert: "common people", die an den Giftpfeilen des Lebens zugrunde gehen, Menschen, die socially awkward sind und sich deswegen in ihren Zimmern wie Yetis in ihren Höhlen verstecken, unerfüllte Liebe, unerfüllte Sehnsüchte, unerfüllte Träume, Angst vor der Liebe, Angst vor dem Sex und nicht zuletzt: das pure Scheitern. Scheitern an zu großen Ambitionen, Scheitern an den Gesetzmäßigkeiten des Lebens, Scheitern an sich selbst, Scheitern an unwiderlegbaren Tatsachen, Scheitern am Hedonismus, Scheitern an der eigenen Unreife, Scheitern, Scheitern, Scheitern.
Starker Tobak. Man könnte meinen, dass Jarvis Cocker seine common people verachtet: Verwöhnt sie auf der einen Seite mit süßlich-romantischen Melodien, konfrontiert sie aber gleichzeitig mit unwiderlegbaren Tatsachen, so als würde er sagen: "Ob du es willst oder nicht, aber damit musst du dich auseinandersetzen." Man könnte ihm glatt Zynismus vorwerfen, diesem Jarvis, wie er kompromisslos seine "einfachen Menschen" verhöhnt, wie er hinter der Fassade des Kitsches deren Probleme unverblümt und sogar mit ätzendem Humor beschreibt. Und dann noch diese Texte: "What is this feeling called love? Why me? Why You? Why here? Why now? It doesn't make no sense, no. It's not convenient, no. It doesn't fit my plans, no. It's something I don't understand." Nach dem Motto: Wir müssen so sehr funktionieren, dass die Liebe uns nicht (mehr?) beflügelt, sondern nur noch frustriert, weil sie unseren großen Plänen im Wege stehe. Fieser geht es kaum!
Aber Moment, da ist noch was anderes, genauer gesagt ein Song: Disco 2000. Neben Common People vielleicht Pulps bekanntestes Werk. Worum geht's da? Es geht um Jarvis höchstpersönlich, der seit seiner Kindheit in Deborah verliebt ist. Natürlich war er a mess. Natürlich wurde es nichts mit der Liebe. Natürlich wurde sie erwachsen und hat geheiratet. Natürlich liebt er sie immer noch. Wie reagiert Jarvis? Mit einer Geste, die so verzweifelt wie berührend ist: Trotzdem bittet er sie, sich mit ihm an einem Sonntag zu treffen, wenn sie will, kann sie ihr Kind mitbringen, so als wolle er sagen: Du bist zwar vergeben, aber trotzdem: Lass uns wiedersehen, lass mich wieder bei dir sein, egal, was zwischen uns steht! Diese Bitte kommentiert er gesanglich mit einem sehnsüchtig-fröhlichen "Ooh ooh oh oh ooh ooh ooh" als ob er immer noch blind auf etwas hofft: auf die Erfüllung seiner Sehnsucht. Damit identifiziert er sich mit all denen, die verbittert ihre Live Bed Show veranstalten und auf etwas hoffen, hoffen, hoffen...
Eine Frage bleibt aber: Wieso bezeichnen sich Pulp dann als Different Class? Wieso inszenieren sie sich als Außenseiter in einer Gesellschaft der common people? Vielleicht liegt es daran, dass sie mit ihrer Sehnsucht anders umgehen. Vielleicht liegt es daran, dass sie sich den Dogmen der Gesellschaft verweigern, ohne dabei ihre Sehnsucht zu verlieren. Ich weiß es nicht. Ich weiß aber vor allem eines: So sehr der Kitsch auch lügt, so sehr verschönert er auch unser Leben, denn Illusionen ermöglichen uns, das widerspenstige Arschloch genannt Leben irgendwie zu ertragen und ich bin mir sicher: Das weiß auch Jarvis. Ansonsten würde er aufhören, auf ein Wiedersehen mit seiner Deborah zu hoffen.
Trotz allem: Wie können wir es schaffen, uns vom alltäglichen Trott zu emanzipieren, um zur Different Class zu gehören? Vielleicht machen wir einen Schritt vorwärts, wenn wir anfangen auf unserem Recht, anders zu sein, zu beharren. That's all.

Sonntag, 6. Dezember 2015

Jagdszenen aus Niederbayern - Der Kampf für das eigene Weltbild

Nichts ist einem so heilig wie die eigene Meinung. Bereitschaft, diese zu revidieren zeigt man eher selten. Entweder begnügt man sich mit der Verschiedenheit der Geschmäcker oder man beharrt stur auf seinem Recht, als wäre man ein Widerstandskämpfer in einem totalitären System. Im schlimmsten Falle aber macht man diese Meinung zur Macht. Wie in Jagdszenen aus Niederbayern.
Als Zuschauer fragt man sich dabei auch: Wie kommt es eigentlich, dass eine Weltsicht so viel Macht hat, dass sie für Andersdenkende puren Psychoterror zur Folge hat? Im Falle von Jagdszenen aus Niederbayern liegt es wohl vor allem an der Bequemlichkeit. Denn es lebt sich beschaulich in Niederbayern. Man trinkt oft und gerne ein Bier, schlachtet feierlich 'ne Sau, geht schön brav zur Kirche und erfreut sich an kollektivem Geläster. Was der Homosexuelle Abram also vor allem bezwecken könnte, wäre eine Erweiterung der gedanklichen Komfort-Zone des Dorfbewohner, eine Erweiterung deren gedanklichen Horizontes. Aber: Wieso Andersdenkende tolerieren, wenn's uns auch so schon gut geht? Wieso belassen wir es einfach nicht dabei, dass Männer es nur mit Frauen machen und umgekehrt? Natürlich spielt hierbei eine Angst mit. Nicht nur eine Angst vor Veränderungen, sondern Angst davor, Unrecht zu haben.
Wie oft versuchen wir, stur auf unseren Meinungen zu beharren, aus Angst, wir hätten Unrecht? Aus dem verzweifelten Verlangen nach einer gewissen Standfestigkeit, eines Selbstbewusstseins. Genau unter diesem Verlangen leiden die Bewohner des beschaulichen Niederbayerns. Sie wollen nicht das Andere akzeptieren, weil es a) die Ordnung stört, unter der man es sich gemütlich gemacht hat (Rainer Werner Fassbinder widmete sich in seinem Meisterwerk Katzelmacher dem selben Thema) und b) weil man sich in seinem eigenen Weltbild bestätigt fühlen will. Vor allem letzterer Aspekt macht Jagdszenen aus Niederbayern so zeitlos. Vor allem heutzutage erlebt man es sehr oft, dass man anstelle davon, zu diskutieren, diffamiert. Dieses Phänomen betrifft vor allem Vertreter einer (falsch verstandenen) Toleranz. Es geht dabei immer darum, sich über den anderen zu stellen, seine Dominanz zu demonstrieren, zu zeigen: Ich bin besser als du. Genauso funktioniert es bei Jagdszenen aus Niederbayern. Der Film ist eine Parabel auf eine Gesellschaft, die den erhobenen Zeigefinger liebt und die Auseinandersetzung scheut, nicht merkend (oder doch bewusst ignorierend?), dass man gerade dadurch enorm gewalttätig wird.
Kinokontrovers hat insofern der Filmlandschaft einen enormen Gefallen bei der Veröffentlichung dieses Films getan, dass Jagdszenen aus Niederbayern uns alle betrifft. Nach wie vor.

Samstag, 21. November 2015

Caché - Das Bild als Gefängniszelle

Caché irritiert. Man weiß nicht, was man von dem Film halten soll. Irgendwie fragt man sich, was das ganze soll. Wieso muss ein Mensch dafür, was er als Kind getan hat, schuldig gesprochen werden? Wieso muss ein Mensch überhaupt für etwas schuldig gesprochen werden? Die wichtigste Frage aber ist: Wem sollen wir hier überhaupt glauben?
Laut Michael Haneke versuchen schlechte Regisseure ihre Unfähigkeit durch Hintergrundmusik zu kaschieren. Eine Aussage, von der ich nicht viel halte, aber darin liegt nicht der Punkt. Der Punkt liegt darin, dass Michael Haneke demzufolge das Kino als visuelles Medium begreift. Für ihn spielt in erster Linie das Gesehene eine Rolle. Nicht umsonst verzichtet er in seinen Filmen auf Hintergrundmusik (auch im Abspann). Was bedeutet das also in Zusammenhang mit Caché, einem Film, bei dem man nicht genau weiß, wie man zu dem, was man sieht stehen soll? Rückblenden erweisen sich als Träume, POV-Shots erweisen sich als Aufnahmen eines anonymen Fremden, der den Hauptcharakter terrorisiert. Der Film lügt regelmäßig. Er verheimlicht viel. Wie die Charaktere. Irgendwann glaubt man niemandem. Die einzige Sache, der man Glauben schenken kann, ist das Bild an sich, das, was zu sehen ist. Aber die Tatsache, dass ein Bild nicht alles zeigen kann, dass auch ein Bild vieles verheimlicht, verdeutlicht, dass das Kino von der Wahrheit nicht weiter entfernt sein kann. Das Bild ist pure Reduktion.
Der Film löst vor allem eines aus: Unbehagen. Unbehagen davor, dass wir nicht alles zu sehen bekommen, weil die Beschränktheit des Bildes es unmöglich macht. Das Bild ist eine Gefängniszelle. Nicht nur für den Abgebildeten, sondern auch für den Betrachter, für uns, den Zuschauer.

Samstag, 14. November 2015

The Raid - Action als Krieg

Im Action-Film geht es normalerweise um den Kampf gegen ein bestimmtes System: Sei es der Kommunismus, die Korruption oder die Profitgier bzw. der Kapitalismus. In der Regel ist der Kämpfer eine coole Sau, jemand, der immer einen One-Liner parat hat, der dazu dient, "badass" zu wirken. Selbstverständlich wird am Ende die alte Ordnung wieder hergestellt und der strahlende Held landet entweder mit dem Model im Bett oder er kehrt zu seiner geliebten Frau zurück. So viel zum Thema "Actionfilm-Dramaturgie". So weit, so unspektakulär.
The Raid beginnt mir der selben Prämisse: Ein junger Cop (Vertreter des "guten" Systems) wird zum Kampf gegen ein "böses" System berufen. Ziel ist es, einen "Bösewicht", der in einem Hochhaus lebt und dort zwielichtigen Gestalten Obhut gibt, zur Strecke zu bringen. Kommt einem bekannt vor, dieses Szenario. Was Gareth Evans aber macht, ist folgendes: Die Attacke erweist sich als Selbstmord-Kommando, die Polizisten werden nach und nach dezimiert. Der Film verlässt also die Dramaturgie des Action-Films und folgt der des Antikriegsfilms, sprich: Eine Gruppe von bewaffneten, jungen Männern macht sich auf zum Kampf, merkt dann aber, dass sie die Hölle auf Erden betreten hat, in der vor allem Tod, Chaos und Entsetzen regieren. Die Kampfszenen und Schießereien sind zwar einerseits ziemlich ästhetisch, aber andererseits auch von einer unerbittlichen Brutalität und Grausamkeit. Ohne zu viel zu verraten: Einen Sieger gibt es am Ende nicht. Das System wird weiter bestehen bleiben. Wird es enthauptet, wächst ihm ein anderer Kopf nach. Der Kämpfer verlässt den Ort der Handlung mit gesenktem Haupt.
Das erinnert vor allem an das Klischee des Antikriegsfilms: Wie oft bekommen wir zu hören, dass Filme wie Platoon oder Apocalpyse Now zeigen, dass es im Krieg keine Gewinner gebe. The Raid hingegen zeigt, dass es im Kampf gegen das Verbrechen (also im Szenario des Actionfilms) keine Gewinner gibt. Das Verbrechen erweist sich als kontrollier-, aber unzerstörbare Institution, die sich mit den "höheren Mächten" längst geeinigt hat. Die Korruption kann man nicht besiegen, man kann sich mit ihr nur arrangieren. Mit dieser bitteren Erkenntnis verlassen die letzten Überlebenden den Film.

Der zweite Teil treibt diese Konzeption noch einmal auf die Spitze. Diesmal muss sich der Held allerdings mit der Welt der "Bösen" vertraut machen - und findet dort kalten Zynismus und verzweifelte Gier. Einen Gewinner gibt es wieder nicht. Es findet vor allem ein Kampf gegen sich selbst statt, den man fast schon traumatisiert verlässt. Symptomatisch dann die Worte: "Nein, ich bin raus!" Hier spricht ein Mensch, der dem Dämon in die Augen geblickt hat, dem Dämon, den er eigentlich besiegen wollte.
Der Witz ist: Dieser Dämon scheitert an sich selbst, an seiner Machtgier, an seinem Zynismus. So avanciert der Held zum Außenstehender, der (auch hier wieder) nur verlieren kann: Der Gegner ist zwar bezwungen, aber die Augen des Protagonisten verraten vor allem eines: Erschöpfung. Erschöpfung vor einem verzweifelten Kampf gegen das Unbesiegbare.

In der Hinsicht erweist sich Gareth Evans als Pessimist, der zwar den Kampf wie zuvor bei Merantau als Philosophie inszeniert, aber auch kein Geheimnis darum macht, dass mit dem Kämpfen nichts gewonnen ist.
Die beiden The-Raid-Filme sind vor allem eines: Filme über das Scheitern. Das Scheitern an den Konventionen des Action-Films und an deren Absurdität und Unmöglichkeit. Denn am Ende haben wir keinen strahlenden, sondern einen traumatisierten Held.
Es soll noch einen dritten Teil geben. Kaum vorstellbar, durch welche Hölle Rama diesmal gehen wird. Es bleibt abzuwarten.

Freitag, 13. November 2015

Trainspotting und der Zuschauer

Now I've justified this to myself in all sorts of ways. It wasn't a big deal, just a minor betrayal. Or we'd outgrown each other, you know, that sort of thing. But let's face it, I ripped them off - my so called mates. But Begbie, I couldn't give a shit about him. And Sick Boy, well he'd done the same to me, if he'd only thought of it first. And Spud, well okay, I felt sorry for Spud - he never hurt anybody. So why did I do it? I could offer a million answers - all false. The truth is that I'm a bad person. But, that's gonna change - I'm going to change. This is the last of that sort of thing. Now I'm cleaning up and I'm moving on, going straight and choosing life. I'm looking forward to it already. I'm gonna be just like you. The job, the family, the fucking big television. The washing machine, the car, the compact disc and electric tin opener, good health, low cholesterol, dental insurance, mortgage, starter home, leisure wear, luggage, three piece suite, DIY, game shows, junk food, children, walks in the park, nine to five, good at golf, washing the car, choice of sweaters, family Christmas, indexed pension, tax exemption, clearing gutters, getting by, looking ahead, the day you die.
Renton wird also zu einem Menschen wie der Zuschauer. Er wird arbeiten, heiraten, fernsehen, auf seine Gesundheit achten, Golf spielen, regelmäßig sein Auto waschen, mit der Familie Weihnachten feiern, bis - nun ja - der Tod kommt.
Dadurch, dass er den Zuschauer direkt anspricht, müssen wir uns wohl oder übel fragen: Wer sind wir eigentlich? Was tun wir? Am wichtigsten aber: Wieso tun wir es?

Da capo: Wir sehen Drogensüchtige. Wir erwarten, dass sie an ihrer Drogensucht scheitern werden. Dass der Tod irgendwie mitspielt. Dass sie im Gefängnis landen und ihre geliebte Jennifer Connelly nie wieder sehen werden. Der Punkt ist: Trainspotting verwöhnt uns nicht damit. Im Gegenteil: Man muss sehr oft lachen in dem Film. Noch öfter sieht man sich gezwungen, sich mit den Charakteren irgendwie zu identifizieren, mehr noch: Man sympathisiert mit ihnen, weil vor allem Renton vor allem eines repräsentiert: die Sehnsucht danach, aus den Dogmen der Gesellschaft auszubrechen. Beziehungsweise einfach "Nein" zu sagen.
Im Endeffekt passt er sich an. Zumindest behauptet er das - und grinst breit an der Kamera vorbei. I'm gonna be just like you. Was heißt das? Heißt das, dass er denjenigen, zu dem er gesprochen hat, verachtet? Richtet er sich genau an den Menschen, der bequem in seinem Sofa sitzt, sich über diesen Junkie aufregt und darauf hofft, dass er vom Schicksal (in dem Falle von Boyle) bestraft wird? Gut möglich!

Die Strafe bleibt - Gott sei Dank! - aus. Stattdessen lacht der Hauptcharakter den Zuschauer, der auf ihn von oben herabblickte, aus.
Trainspotting verherrlicht den Drogenkonsum überhaupt nicht, aber er verurteilt ihn auch nicht. Er versucht stattdessen zu verstehen, wieso man sich auf sowas einlässt. Einer der Gründe ist: Die Wut auf das Spießertum lässt keine andere Wahl. Man protestiert gegen die Anpassung und das Funktionieren, indem man sich der Working Class verweigert. Am Ende spricht Renton zur Working Class und fordert sie dadurch heraus, ihre eigene Lebensphilosophie zu überdenken. Trainspotting - im Endeffekt dann doch irgendwie ein Zeitgeist-Film. Auch nach fast 20 Jahren.


Donnerstag, 5. November 2015

Der ekelerregende Stumpfsinn des positiven Denkens

In Pick-Up-Foren heißt es oft und gerne "Denke positiv, blende das Negative aus!" Die Frage aber ist: Macht einen das wirklich glücklich? Ich glaube nein.
Denn jetzt mal ehrlich: Was bringt uns dieses Denken, wenn wir mit Problemen kämpfen, die wir nicht einfach so verdrängen können? Oder wenn wir unsere negativen Emotionen nicht einfach so kontrollieren können (ansonsten wären wir ja Roboter)? Man merkt: Dem positiven Denken liegt ein Stumpfsinn inne, der gefährlich, denn wir merken dann viel zu spät, dass sich unser Leiden dadurch nur intensiviert. Nein, ich persönlich propagiere eher eine Akzeptanz des Negativen.
In dem Zusammenhang möchte ich auf ein Beispiel aus dem Kino eingehen: In einer großartigen Szene eines meiner Lieblingsfilme - Melancholia - heißt es: "Die Welt ist schlecht und wir brauchen nicht um sie zu trauern!" Das spricht ein - eigentlich! - depressiver Filmcharakter aus, als alles - wie symptomatisch - auf den Weltuntergang zusteuert. Um mich mal kurz zu fassen: Dieser depressive Charakter - Justine - findet zu einer neuen Stärke zurück angesichts des Unausweichlichen, während Claire, die Besonnene, zunehmend verzweifelt. Eine Spoilerwarnung wäre jetzt absoluter Blödsinn, deswegen sage ich es ganz unverblümt: Am Ende stirbt die ganze Menschheit.
Nichtsdestotrotz handelt es sich bei diesem Film um ein Werk, das mich mehr aufmuntert als manch ein Feel-Good-Movie. Wieso? Ganz einfach: Am Ende siegt ein Charakter dadurch, dass er sein Elend und seine Misere akzeptiert, mehr noch: Er wächst über sich hinaus und opfert seine letzten Minuten der (Nächsten-)Liebe. Belebender geht's eigentlich kaum!
Was hat das ganze jetzt aber mit der Überschrift zu tun? Ganz einfach, die Leute, die so etwas propagieren sind normalerweise diejenigen, die Filme wie Melancholia meiden wie der Teufel das Weihwasser. Sie begnügen sich damit, zwanghaft auf das "Positive" zu achten, weil sie sich damit vorlügen, dass sie damit ihr Leid aus der Welt schaffen, nicht merkend, dass sie es nur verstärken.
Das Schlimme ist: Dieses unsägliche "positive Denken" wird von so vielen Seiten propagiert: von Hollywood, von der Pop-Musik, vor allem aber von der Werbeindustrie - ständig wird uns dort vorgegaukelt, dass wir uns auf das Gute fixieren - und uns damit belügen - sollen. "Sei ohne Sorge" wie es in Ingeborg Bachmanns großartigem Gedicht Reklame heißt. Dieses Sorglose zerstört uns aber innerlich - und wir nehmen es dankend, weil unwissend in Kauf.
Ich selbst war Opfer einer solchen Denke. Viel zu spät merkte ich, dass sich meine Depressionen und Suizidgedanken nur noch verschlimmerten, bis - der geneigte Leser ahnt's schon - ich diese Aspekte als Teil meines Charakters akzeptierte. Danach ging es mir nach und nach besser, weil ich mich anschließend freier, weil echter fühlte. Ich hörte auf, mich selbst zu belügen.
Wer weiß: Wenn wir diese Illusion des blinden Positivismus ablegen würden - vielleicht wären wir ein gutes Stück weiter. Ich würde es hoffen.

Montag, 2. November 2015

Pop-Musik von heute - Ein Armutszeugnis

Wie das Konzept von Angebot und Nachfrage funktioniert, weiß doch jeder, oder? Wenn nein, dann erkläre ich es in Kürze mal: Man bietet ein Produkt zu einem bestimmten Preis an (Angebot) und je größer das Interesse seitens der Gesellschaft an diesem Produkt ist (Nachfrage), desto öfter wird das Produkt produziert und desto höher wird sein Wert. Tritt das Gegenteil auf, verschwindet das Produkt (schlimmstenfalls) aus dem Markt.
Auf (kommerzielle) Kunst kann man dieses Prinzip genauso anwenden: Ist eine bestimmte Sorte von Film beliebt, wird noch mehr davon produziert (aktuelles Beispiel: Marvel). Wird ein Buch ein Bestseller, werden ähnliche Bücher mit Hoffnung auf ähnlichen Erfolg auf den Markt gebracht. Dass dieses Prinzip auch für Musik gilt, sollte auch klar sein. Darüber will ich mich auch nicht aufregen. Das ist der natürliche Ablauf der Dinge. Was mich aber aufregt, ist der immer niedriger werdende Anspruch, den wir bezüglicher heutiger Popmusik haben. Schaut euch mal die Charts an: Was sind überwiegend die Themen der beliebtesten Songs? Was fällt euch auf? Genau, den meisten Songs geht es vor allem um eines: den blinden Hedonismus. Egal ob in Form von Ficken (nicht Liebe machen, ficken!), Party machen, Saufen oder einfach nur blind die Probleme der Welt oder die eigenen Probleme ausblenden. Ein Freund von mir behauptete mal, Nihilismus und Hedonismus seien die einzig legitimen Lebensstile und ich befürchte, er ist keine Ausnahme. Wir Menschen wollen nur noch blind genießen, genießen und noch mal genießen.
Eines vorweg: Ich verlange nicht, dass zeitgenössliche Popmusik überwiegend vom Leid und Hunger auf der Welt handelt (auch wenn es ziemlich wünschenswert wäre), aber was ich vermisse, sind Gefühle: Liebe war einst ein Wort, das in der zeitgenösslichen Popmusik groß geschrieben wurde, heutzutage - befürchte ich - gilt sie dort als verpönt, ergo: gilt sie in der modernen Gesellschaft als verpönt. Wieso eigentlich? Ist die Tatsache, dass wir auf frühere Trends mit einem gewissen (Fremd-)Schamgefühl zurückblicken? Ist es der Turbokapitalismus, der uns auffordert zu funktionieren, funktionieren und nochmal zu funktionieren? Oder ist es der Umstand, dass es heutzutage kaum noch Tabuthemen gibt (was ich natürlich begrüßenswert finde)? Ich glaube, es ist von allem was. Was ich aber vor allem glaube: Wir haben aufgehört, die Liebe ernst zu nehmen. Etliche Pick-Up-Foren belegen das - und das spiegelt sich auch in der Popkultur wieder. Nicki Minaj rappt über ihren fetten Arsch, Flo Rida singt fröhlich übers Blasen, aber über die Liebe singen wenige. Eine erfreuliche Ausnahme ist Adele, deren wunderbares Hello immerhin auf Platz 1 der Spotify-Charts gelandet ist - ich befürchte aber, sie ist nur die Ausnahme von der Regel.
Ich will nichts groß fordern, ich will nicht groß zur Kulturrevolution aufrufen, aber ich möchte doch, dass wir uns von den Grenzen unserer sozialen Kälte lösen und anfangen die Liebe ernst zu nehmen. Die Ära der Hedonisten würde zwar (noch?) kein Ende nehmen, aber sie würde definitiv abflachen - was ich natürlich hoffe. Und die Popmusik wäre garantiert weit weniger ärgerlich.

PS: Wer mein Gerede jetzt kitschig findet, sollte sich fragen, wieso er das eigentlich so empfindet. Nur mal so als Denkanstoß.