Kleiner Überblick

Sonntag, 6. Dezember 2015

Jagdszenen aus Niederbayern - Der Kampf für das eigene Weltbild

Nichts ist einem so heilig wie die eigene Meinung. Bereitschaft, diese zu revidieren zeigt man eher selten. Entweder begnügt man sich mit der Verschiedenheit der Geschmäcker oder man beharrt stur auf seinem Recht, als wäre man ein Widerstandskämpfer in einem totalitären System. Im schlimmsten Falle aber macht man diese Meinung zur Macht. Wie in Jagdszenen aus Niederbayern.
Als Zuschauer fragt man sich dabei auch: Wie kommt es eigentlich, dass eine Weltsicht so viel Macht hat, dass sie für Andersdenkende puren Psychoterror zur Folge hat? Im Falle von Jagdszenen aus Niederbayern liegt es wohl vor allem an der Bequemlichkeit. Denn es lebt sich beschaulich in Niederbayern. Man trinkt oft und gerne ein Bier, schlachtet feierlich 'ne Sau, geht schön brav zur Kirche und erfreut sich an kollektivem Geläster. Was der Homosexuelle Abram also vor allem bezwecken könnte, wäre eine Erweiterung der gedanklichen Komfort-Zone des Dorfbewohner, eine Erweiterung deren gedanklichen Horizontes. Aber: Wieso Andersdenkende tolerieren, wenn's uns auch so schon gut geht? Wieso belassen wir es einfach nicht dabei, dass Männer es nur mit Frauen machen und umgekehrt? Natürlich spielt hierbei eine Angst mit. Nicht nur eine Angst vor Veränderungen, sondern Angst davor, Unrecht zu haben.
Wie oft versuchen wir, stur auf unseren Meinungen zu beharren, aus Angst, wir hätten Unrecht? Aus dem verzweifelten Verlangen nach einer gewissen Standfestigkeit, eines Selbstbewusstseins. Genau unter diesem Verlangen leiden die Bewohner des beschaulichen Niederbayerns. Sie wollen nicht das Andere akzeptieren, weil es a) die Ordnung stört, unter der man es sich gemütlich gemacht hat (Rainer Werner Fassbinder widmete sich in seinem Meisterwerk Katzelmacher dem selben Thema) und b) weil man sich in seinem eigenen Weltbild bestätigt fühlen will. Vor allem letzterer Aspekt macht Jagdszenen aus Niederbayern so zeitlos. Vor allem heutzutage erlebt man es sehr oft, dass man anstelle davon, zu diskutieren, diffamiert. Dieses Phänomen betrifft vor allem Vertreter einer (falsch verstandenen) Toleranz. Es geht dabei immer darum, sich über den anderen zu stellen, seine Dominanz zu demonstrieren, zu zeigen: Ich bin besser als du. Genauso funktioniert es bei Jagdszenen aus Niederbayern. Der Film ist eine Parabel auf eine Gesellschaft, die den erhobenen Zeigefinger liebt und die Auseinandersetzung scheut, nicht merkend (oder doch bewusst ignorierend?), dass man gerade dadurch enorm gewalttätig wird.
Kinokontrovers hat insofern der Filmlandschaft einen enormen Gefallen bei der Veröffentlichung dieses Films getan, dass Jagdszenen aus Niederbayern uns alle betrifft. Nach wie vor.

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